Die neuen Sondervermögen – Fluch oder Segen für den Ingenieur-Arbeitsmarkt?
Die Bundesregierung hat ein beispielloses Finanzpaket beschlossen: Die Schuldenbremse wird für Verteidigungsausgaben weitgehend ausgesetzt, ein Sondervermögen von 500 Milliarden Euro soll in den kommenden Jahren in die Modernisierung der Infrastruktur und den Klimaschutz fließen. Doch wie genau werden Maschinenbau-, Elektro- und Bauingenieure davon betroffen sein?
Zunächst einmal könnte die Nachfrage nach Ingenieuren noch weiter steigen, egal, ob Bauingenieure, Maschinenbauer oder Elektroingenieure. „Dies beruht auf primär zwei Effekten“, erläutert Prof. Dr. Michael Knörzer vom APRIORI HR:LAB, „nämlich den dadurch direkt adressierten Investitionen von Bund, Ländern und Kommunen. Das könnte Stand heute aber alles Mögliche sein: von der Straße über das Streckennetz der Bahn bis hin zur E-Autosubventionierung, von der Gebäudesanierung bis zur Senkung des Preises für das Deutschlandticket. Wie dann welcher Bereich profitiert und welche Teilarbeitsmärkte davon genau wie stark betroffen sind, ist damit schwer vorherzusagen. Ganz abgesehen davon, dass nicht sicher ist, wie sinnvoll das Geld ausgegeben wird. Bis zum Beweise des Gegenteils sind Zweifel daran durchaus berechtigt“.
Aber es gibt noch einen zweiten, indirekten Effekt: „Die Keynesianer [Wirtschaftstheorie benannt nach Ökonomen und Philosophen John Maynard Keynes von der Cambridge University, die Red.] unter den Wirtschaftswissenschaftler und Wirtschaftspolitikern haben jetzt Grund zu jubeln“, ordnet Prof. Knörzer die Auswirkungen des Finanzpaketes ein, „denn durch den steigenden Staatskonsum und die zu erwartende Ausweitung der Geldmenge wird sich sicher ein positiver Impuls auf die stagnierende Gesamtwirtschaft ergeben, also auch Branchen, die nicht direkt von der Aufweichung der Schuldenbremse für Verteidigung und den Sondervermögen betroffen sind“. Das könnte beispielsweise Chemie- und Produktionsingenieure betreffen oder Spezialmaschinenbauer, etwa für Textilmaschinen.
Klingt zunächst nach goldenen Zeiten für Ingenieure. Der Investitionsstau der letzten Jahrzehnte hat deutliche Spuren hinterlassen. Mit dem Sondervermögen sollen Straßen, Brücken und Schienen modernisiert werden – und das ist ohne Bauingenieure nicht machbar. Der Ausbau erneuerbarer Energien ist eine Jahrhundertaufgabe, mit einem Umbau der Energieversorgungsinfrastruktur und der Dekarbonisierung bestehender Strukturen. Elektroingenieure sind jetzt mehr denn je gefragt, um innovative Lösungen für eine nachhaltige Energieversorgung zu entwickeln. Maschinenbauingenieure spielen eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung neuer Technologien und der Optimierung bestehender Systeme. Ohne sie wird die Industrie nicht die notwendige Transformation in Richtung Nachhaltigkeit schaffen. Denn nur mit Geld lässt sich in keinem dieser Handlungsfelder etwas anfangen.
Ingenieure müssten ihre Produktivität verdoppeln
Die Kehrseite ist: Der Druck auf den Arbeitsmarkt für Ingenieure dürfte noch weiter steigen! Der VDI rechnet damit, dass in den nächsten 10 Jahren allein durch den Abgang von Baby Boomern bis zu 340.00 Fachkräfte in diesem Bereich dem Arbeitsmarkt verloren gehen könnten. Und es kommt noch schlimmer, blickt man auf den Nachwuchs: „Wir sind jetzt schon in einer Lage, in der nur der BA offenen Stellen für Ingenieure im sechsstelligen Bereich gemeldet sind. Hinzu kommen noch die oft hochwertigeren Stellen, die direkt über Personalberatungen gesucht und der BA gar nicht mehr gemeldet werden“, illustriert Prof. Knörzer die heute schon angespannte Situation auf dem Arbeitsmarkt. Da es keinen Output ohne Input gibt, drängt sich die Frage auf, woher das Humankapital in diesem Bereich kommen soll, um die der Politik nun bereitstehenden Milliarden zielführend investieren zu können. Prof. Knörzer ergänzt: „Schon seit Jahren sehen wir die Tendenz, dass in den MINT-Studiengängen eine Wanderung von den Ingenieuren zu den Informatikern stattfindet. Gefühlt müssten Ingenieure ihr Produktivität verdoppeln, um die gestiegene Nachfrage zu kompensieren. Außerdem ist zu bedenken: Oft gelingt es Ingenieuren gerade im Mittelstand und in technologieintensiven Branchen in Führungspositionen aufzusteigen. Sie sind damit nicht mehr in ihrer Ursprungsprofession tätig, sondern übernehmen Managementaufgaben, gehen also dem Ingenieursarbeitsmarkt insofern ‚verloren‘. Da wird es spannend sein zu beobachten, ob sich Unternehmen das künftig überhaupt noch leisten können. Vielleicht müssen Führungsstruktur im Ingenieurbereich neu gedacht und Karrierepfade für Ingenieure anders definiert werden. Ihr Wissen könnte zu einer so knappen und umkämpften Ressource werden, dass mit dieser noch sorgfältiger als früher geplant und umgegangen werden muss “.
Was bedeutet das nun für Arbeitgeber: „Unternehmen, für die Ingenieure unverzichtbar sind, sollten diese jetzt noch intensiver suchen und langfristige Bindungsprogramme aufbauen. Der Markt ist bereits hart umkämpft, aber es wird nicht besser.“