„Economic Warfare“ zwischen den USA und der EU: Was droht dem europäischen IT-Arbeitsmarkt?
Am „Liberation Day“ verkündete US-Präsident Donald Trump Zölle gegen eine Vielzahl von Ländern und Wirtschaftsregion. Die EU sollen „Strafzölle“ von 20% treffen, nachdem bereits Zölle auf Autos von 25% verkündet worden waren. Ökonomen sind sich einig: Dies wird spürbare Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) sieht in einer ersten Studie den Schaden bis zum Ende von Trumps Präsidentschaft Amtszeit bei ca. 200 Mrd. € allein in Deutschland, für die EU kommt das IW in diesem Zeitraum auf sogar 750 Mrd. €. Doch was bedeutet das für die ohnehin schon angespannten Arbeitsmarkt der IT-Fachkräfte?
„Zunächst einmal ist die Ausgangssituation etwas komplexer als man meinen könnte und daher differenzierter zu betrachten“, ordnet Prof. Dr. Michael Knörzer vom APRIORI HR:LAB die Lage ein: „Die US-Regierung beruft sich auf ein Handelsbilanzdefizit, um höhere Zölle zu rechtfertigen. Dieses Defizit existiert im Verhältnis sowohl zu EU als Ganzes als auch zu Deutschland tatsächlich, vor allem im Warenhandel. Während die USA im Warenhandel oft ein Defizit aufweisen, erzielen sie dagegen im Dienstleistungssektor häufig Überschüsse“.
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Die Handelsbilanz umfasst den Austausch von Waren und Dienstleistungen zwischen Ländern. Warenhandel: Im Jahr 2024 lag der Export der EU in die USA Waren bei etwa 584 Mrd. €, während die USA Waren im Wert von rund 357 Mrd. € in die EU exportierten. Dies ergibt ein US-Defizit von etwa 227 Mrd. € im Warenhandel mit der EU. Im gleichen Zeitraum verzeichnete die EU ein Dienstleistungsdefizit von 109 Mrd. € gegenüber den USA, was bedeutet, dass die USA in diesem Sektor einen Überschuss hatten. Berücksichtigt man sowohl Waren als auch Dienstleistungen, ergibt sich für die USA gegenüber der EU weiterhin ein Handelsdefizit, jedoch fällt dieses geringer aus als beim alleinigen Blick auf den Warenhandel.
Die Europäische Union plant als Reaktion auf die von der US-Regierung angekündigten Zollerhöhungen Gegenmaßnahmen, die insbesondere große US-Technologieunternehmen wie Meta, Amazon und PayPal betreffen könnten. Sollten Verhandlungen nicht zu erfolgen führen, sind Gegenzölle und Maßnahmen gegen US-Dienstleistungen und Technologieunternehmen im Gespräch, da hier die EU – wie oben beschrieben – die USA wegen ihres Dienstleistungsdefizits besonders hart treffen könnte. So werden vermutlich zu physischen Waren v.a. US-Dienstleistungen ins Visier genommen werden. Dies umfasst mögliche Gebühren oder Regulierungen für große US-Technologiefirmen. In der EU soll sogar diskutiert werden, den Zugang dieser Unternehmen zu öffentlichen Aufträgen einzuschränken oder spezifische Steuern zu erheben. Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses des Europäischen Parlaments, erwähnte die Möglichkeit, Gebühren für Dienste wie PayPal und Google zu erheben, falls Verhandlungen mit den USA scheitern sollten. Doch nicht alle Mitgliedstaaten unterstützen solche Maßnahmen. Irlands Handelsminister Simon Harris betonte, dass Vergeltungsmaßnahmen gegen US-Digitaldienste nicht die offizielle Position der EU seien, da solche Schritte insbesondere Irland, das viele US-Tech-Unternehmen beherbergt, schaden könnten.
„Falls die EU tatsächlich stärkere Regulierungen oder finanzielle Belastungen für große US-Tech-Konzerne wie Meta, Amazon, Google oder PayPal einführt, könnte das spürbare Auswirkungen auf den deutschen und europäischen IT-Arbeitsmarkt haben“, deutet Prof. Knörzer die möglichen Konsequenzen dieser Entwicklung an: „Aber auch hier ist die Situation diffizil und es sind mehrere Szenarien und gegenläufige Entwicklungen möglich“.
Falls US-Technologieunternehmen durch höhere Gebühren und Steuern oder strengere Auflagen im Wettbewerb behindert werden, könnten sie Investitionen in Europa reduzieren oder sogar teilweise aus dem Markt zurückziehen. Das hätte direkte Folgen für deren europäische Niederlassungen und könnte in einigen Regionen, besonders in Irland oder Deutschland, zu einem Arbeitsplatzabbau führen. Im Gegenteil könnten aber US-Techfirmen stärker aus der EU heraus tätig werden, um so Zölle zu umgehen. Gleichzeitig könnten europäische Tech-Unternehmen profitieren, wenn US-Konkurrenten stärker reguliert werden. Falls beispielsweise strengere Datenschutz- oder Steuerregeln auf US-Plattformen angewendet werden, könnte das die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Alternativen stärken. Dies würde zu einem erhöhten Bedarf an IT-Fachkräften in der Region führen, insbesondere in den Bereichen Cloud-Computing und IT-Infrastruktur (Amazon AWS, Google Cloud), Zahlungsdienstleistungen (europäische Alternativen zu PayPal), soziale Netzwerke (z. B. Open-Source-Alternativen zu Meta-Produkten) oder Handelsplattformen (Amazon, Ebay). Europa hat bereits einen erheblichen Fachkräftemangel im MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik). Falls die Abhängigkeit von US-Tech-Konzernen verringert wird, müssten europäische Unternehmen stärker in eigene digitale Lösungen investieren – und das erfordert noch mehr hochqualifizierte IT-Fachkräfte. Aktuell wird in der gesamten EU der Fachkräftemangel in der IT-Branche bei über 1 Million unbesetzten Stellen geschätzt. Langfristig könnte die Notwendigkeit steigen, noch mehr IT-Talente gezielt in Europa auszubilden, um eine technologische Unabhängigkeit von den USA zu fördern. Das könnte durch bessere Bildungsprogramme und MINT-Studiengänge in Europa, Fördermittel für Start-ups in Zukunftsbranchen oder einer gezielten Zuwanderung von IT-Fachkräften (z. B. aus Indien oder Afrika) münden. Sollten US-Tech-Konzerne also tatsächlich in Europa stärker besteuert und reguliert werden, könnte das zu einer Verschiebung von Arbeitsplätzen innerhalb des IT-Sektors führen und die ohnehin hohe Nachfrage nach MINT-Fachkräften weiter verstärken.