Candidate Experience: Der Kandidat ist König

Autor: Sofia Dobbertin

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Candidate Experience

Der Kunde ist König. Im Geschäftsleben ist das Gesetz. Er soll ja wieder kommen! Schade nur, dass sich das noch nicht bis ins Recruting herumgesprochen hat. Viele Kandidaten beklagen eine miserable Candidate Experience – das sind schlechte Erfahrungen im Bewerbungsprozess. Aber sollten Talente nicht eigentlich auch wieder kommen?

Studien belegen immer wieder: Um die Candidate Experience vieler junger Talente ist es schlecht bestellt. Jüngst wartete eine Arbeitgeberbewertungsplattform mit neuen Ergebnissen auf. Aus Kandidatensicht sind dieser zufolge bei der Personalbeschaffung vor allem Parameter wie Schnelligkeit und Tempo Trumpf.

„Je schneller ein Unternehmen auf eine eingegangene Bewerbung reagiert, umso höher liegt es tendenziell in der Gunst der Talente“, sagt Sebastian Berblinger, Vorstand bei der Personalberatung APRIORI. „Das Problem ist allerdings: Nur wenige Recruiting Prozesse sind auf Geschwindigkeit ausgerichtet. Und das ist bei weitem nicht, das einzige, was einer guten Candidate Experience abträglich ist.“

Eine Definition

Aber was ist eine Candidate Experience überhaupt? Wo beginnt und wo endet sie? Laut Definition fallen unter das Stichwort Candidate Experience alle Erfahrungen, die ein Bewerber mit einem Unternehmen im Verlauf des Bewerbungsprozesses sammelt.

Allerdings machen sich die wenigsten Arbeitgeber bewusst, dass diese Erfahrungen in der Regel bereits weit vor dem ersten Kontakt beginnen: Überall dort, wo ein potenzieller Bewerber mit einem Unternehmen in Berührung kommt, festigt sich auch dessen Eindruck von diesem als Arbeitgeber.

Gut gemachte Werbeauftritte oder ein sehr gutes Image können durchaus den Wunsch beeinflussen, bei einem Unternehmen zu arbeiten: Eine coole Marke wird häufig auch mit einem coolen Arbeitsumfeld gleich gesetzt. Daher sollten das externe Marketing und das Personalmarketing unbedingt aus einem Guss sein, damit sich die positiven Erfahrungen nahtlos bei der Bewerbung fortsetzen.

Was ist zu beachten?

Praktisch sieht das jedoch oft anders aus. Während der Kunde mit Hochglanzwerbung und –Produkten bedacht wird, kommen die Angebote für Bewerber eher fad und glanzlos daher. Das beginnt häufig schon bei der Informationsbeschaffung auf der Unternehmenshomepage. Im Kundenbereich punktet der Unternehmensauftritt mit übersichtlichen Reitern und einer klaren Gliederung.

Bewerber müssen dagegen erst einmal suchen. Informationen über Karriereaussichten im Unternehmen sind meist nicht auf der Startseite verlinkt, sondern auf einer abgelegenen Unterseite. Da stellen sich Kandidaten schnell die Frage: „Bin ich es dem Unternehmen nicht wert, ganz vorn erwähnt zu werden?“ Hier erfährt die Candidate Experience zum ersten Mal einen Dämpfer.

Die optimale Candidate Experience im Bewerbungsprozess

Es gibt aber noch viel mehr Aspekte, die die Candidate Experience im Bewerbungsprozess negativ beeinflussen: Bekanntlich ist es ja der Ton, der die Musik macht. Und eben der fällt im Recruiting gerne eine Nuance zu gleichgültig und einfallslos aus.

Nichts hassen Bewerber beispielsweise mehr, als Massenmails mit austauschbaren Textbausteinen und Floskeln, aus denen sie zwischen den Zeilen die Einladung zum Vorstellungsgespräch herauslesen müssen. Freundlicher und nahbarer zeigen sich Rekrutierende dagegen, wenn sie kurz zum Telefon greifen, sich für die Zusendung der Bewerbungsunterlagen bedanken und eine Rückmeldung über den weiteren Verlauf des Bewerbungsprozesses geben.

Das macht eine gute Candidate Experience aus, denn der Personalverantwortliche signalisiert: Der Kandidat als Person ist mir wichtig. Und wer weiß schon, ob man sich nicht ein zweites Mal im Leben begegnet? Insofern ist die gleiche wertschätzende Haltung auch gegenüber Bewerbern anzuraten, die es nicht in die engere Wahl geschafft haben.

Worauf es bei der E-Mail-Kommunikation ankommt

Zugegeben, manchmal sprechen die zeitlichen Umstände gegen eine Plauderei am Telefon. Natürlich ist dann grundsätzlich auch eine E-Mail in Ordnung. Umso mehr, wenn die Texte um ein paar individuelle Bezüge zu der einen oder anderen Station im Lebenslauf des Bewerbers ergänzt werden. So erfährt der Kandidat: „Man hat sich wirklich mit meinem Werdegang auseinandergesetzt.“

Aber auch beim ersten persönlichen Kennenlernen mit dem Wunschkandidaten lauern Fallstricke. Der Bewerber sollte zum Beispiel erst einmal in Ruhe ankommen dürfen, etwas trinken und sich mit einem kleinen Gebäckstück stärken, bevor es los geht. Und auch dann sollte der Interviewende nicht mit der Tür ins Haus fallen. Ein wenig Small-Talk lockert die Atmosphäre auf und vermittelt beiden Seiten einen ersten Eindruck, wie das Gegenüber tickt.

Das Vorstellungsgespräch

Das ist wichtig, um sich im folgenden Teil voll und ganz auf den Inhalt des Interviews konzentrieren zu können, das im übrigen nicht einem Test ähneln sollte, sondern einem Gespräch, in dem sich zwei gleichwertige Partner austauschen.

Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, leider aber allzu oft ignoriert: Während des Gesprächs spricht nichts dagegen, sich Notizen zu machen. Das aber bitte klassisch mit Papier und Stift und nicht mit dem Laptop vor dem Gesicht.

Tatsächlich berichten Kandidaten aber immer mal wieder von Interviewpartnern, die kaum eine Miene verziehen, fortwährend auf ihrer Tastatur herumklimpern und nur ab und an den Blick vom Monitor heben. Da fragt sich der Kandidat doch unweigerlich: „Hört der mir wirklich zu oder arbeitet er gerade an einem Projekt weiter?“ Sie ahnen es sicher schon: Mit einer guten Candidate Experience hat auch das nicht im Entferntesten zu tun.

Aber auch nach dem Gespräch ist das Thema Candidate Experience nicht vom Tisch. Der Rekrutierende sollte den Bewerber regelmäßig über die alle weiteren Schritte informieren. Der größte Fauxpas ist übrigens, sich im Falle einer Absage gar nicht mehr zu melden. Ein individuelles Schreiben per Post, dem noch ein Merchandising Produkt als Trostpflaster beiliegt, schneidet bei Bewerbern hingegen umso besser ab: Dann fühlt sich der abgelehnte Kandidat vielleicht nicht wie ein König, aber eben auch nicht wie ein armer Bettelmann.

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