Wie hat sich das Change Management verändert?

Autor: Sofia Dobbertin

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Allgemein

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Wie hat sich das Change Management verändert?
Prof. Dr. Michael Knörzer, Leiter des Center of Expertise der APRIORI – business solutions AG, im Gespräch mit Prof. Dr. Thomas Lauer, Hochschule Aschaffenburg, Autor des Buches „Change Management“.

 

Herr Professor Lauer, wie hat sich eigentlich das Change Management selbst im Lauf der Jahrzehnte verändert?

Einerseits hat es sich verändert, andererseits nicht. Der Mensch steht nach wie vor im Zentrum! Es geht ja darum, Menschen im Wandel mitzunehmen. Insofern sind viele Erkenntnisse der Sozialpsychologie nach wie vor gültig. Als ich studiert habe, das war Ende der achtziger Jahre, da gab es den Begriff „Change Management“ gar nicht. Man hat damals von „Organisationsentwicklung“ gesprochen. Dieser Begriff war aber ideologischer geprägt. Es ging darum, Autonomie und Mitbestimmung zu fördern. Heute sieht man Change Management pragmatischer.

Welche Herausforderungen an das Change Management sind neu hinzugekommen?

Die „Generation Y“ ist heute ein großes Thema. Sie heißt ja „WHY“, weil sie vieles hinterfragt. Daher muss man Gründe für den Wandel stärker offenlegen, weil die jungen Menschen tatsächlich danach verlangen. Insofern denke ich, dass viele Aspekte des klassischen Change Managements wie Kommunikation und Partizipation eine noch größere Rolle spielen werden.

Gleichzeitig stehen aber den Unternehmen auch neue Instrumente im Rahmen des Change Managements zur Verfügung?

Natürlich ändern sich – wenn wir bei der Generation Y bleiben, die ja auch als Digital Natives bezeichnet werden – die Maßnahmen, mit denen man Change Management betreibt. Gerade das Web 2.0 wird in diesem Zusammenhang stark an Bedeutung gewinnen. Führend ist da in Deutschland, soweit ich das beurteilen kann, die OTTO Group. Dort wurde ganz bewusst gesagt, Mitsprache im Change Management lassen wir über Web 2.0 laufen.

… und die Gefahren dieser Technologien?

Viele Unternehmen sind zu Recht zu einem gewissen Grad ängstlich, dass Kommentare zu Veränderungsprozessen in den sozialen Medien erscheinen, die vielleicht in dieser Form nicht gewünscht sind. Zwar kann man versuchen, durch Guidelines Spielregeln zu geben, aber die Gefahr, dass diese nicht eingehalten werden, ist nicht von der Hand zu weisen. Auf der anderen Seite führt ein Vertrauensvorschuss auch durchaus dazu, dass Mitarbeiter mit Freiheit verantwortlungsvoller umgehen.

Da Sie die Generation Y ansprachen: Verantwortlich in Führungspositionen sind momentan noch die Manager aus der Generation X. Hat diese Generation die zuvor von Ihnen angesprochenen neuen Herausforderungen verstanden?

Nein. Ich würde definitiv sagen: Nein, zumindest was eine Mehrheit unter ihnen angeht. Sonst gebe es die vielen Klagen über die Generation Y nicht. Ich erlebe es immer wieder, dass diese Dinge von der Generation X als negativ dargestellt werden: „Arbeiten ist für die Jüngeren keine Selbstverständlichkeit mehr, sie achten zu sehr auf Work-Life-Balance, sie hinterfragen alles, anstatt sich mal auf Dinge einzulassen und diese einfach mal zu tun…“. Aber eigentlich ist es doch etwas sehr Positives, wenn man Dinge hinterfragt. Mein Eindruck ist, ich kann es jetzt leider nicht mit empirischen Studien untermauern, dass das bei der Generation X noch nicht angekommen ist. Es gibt aber Studien, die zeigen, dass die Generation X eigentlich viele Chancen verpasst hat, dass sie sich auch in diese Richtung entwickeln hätte können, und dass die Generation Y solche Dinge wie Work-Life-Balance heute im Grunde nur nachholt.

Welche weiteren Aspekte des Change Managements werden ihrer Ansicht nach in der Praxis immer noch unterschätzt?

Also, an erster Stelle Kommunikation. Kommunikation ist neben Partizipation das zentrale Element im Change Management. DER Klassiker ist einfach rechtzeitige Kommunikation. Viele Führungskräfte neigen immer noch dazu, um das einmal salopp auszudrücken, die Katze nicht rechtzeitig aus dem Sack zu lassen, da man Angst hat, dass frühzeitig Widerstände gegen den Wandel entstehen. Aber das genaue Gegenteil passiert! Erst dadurch entstehen Widerstände. Durch zu langes Warten bilden sich Gerüchte, da niemand verhindern kann, dass hinsichtlich eines anstehenden Veränderungsprozesses „alle Schotten dicht“ sind. Es dringen nur partielle Informationen aus dem Führungskreis nach außen, der Rest wird durch die Mitarbeiter mit Phantasie aufgefüllt. Und die Phantasie sieht meist sehr viel schlimmer aus als die Wirklichkeit. Das kommt dann mit aller Macht auf das Management zurück.

Die meisten Unternehmen haben heutzutage eine Unternehmensvision formuliert. Man spricht viel von werteorientierter Unternehmensführung. Welche Bedeutung haben die Vision und die Werte des Unternehmens im Wandel – Sind sie Stützen oder Bremsklötze?

Bremsklötze würde ich nicht sagen. Ich sehe Weniges, was dafür spricht. Aber Papier ist geduldig … und das ist das Problem. Visionen sind zu wenig individuell, Unternehmen schreiben bei anderen Unternehmen ab oder lassen sich von Agenturen Visionen ‚definieren‘. Dann haben Visionen eine wenig motivierende Kraft. Werte sind vielleicht wichtiger. Im Gegensatz zur Vision müssen sie auch nicht unbedingt zu Papier gebracht werden – sie müssen gelebt werden! Darin besteht auch eine gewisse Gefahr. Wenn diese Unternehmenswerte von den Top-Führungskräften nicht gelebt werden, können sie tatsächlich zum Bremsklotz werden. Oder vielmehr zum Bumerang.

Sie haben selbst ein Buch über Change Management geschrieben. Kann man überhaupt die Erkenntnisse über Change Management in ein Buch fassen? Lassen sie sich generalisieren? Gibt es überhaupt so etwas wie ein einheitliches Change Management? Oder sind die unternehmensindividuellen Anforderungen so spezifisch, dass man kaum allgemeine Handlungsempfehlungen geben kann?

Es gibt auf jeden Fall Erfolgsfaktoren. Daher heißt mein Buch im Untertitel auch Grundlagen und Erfolgsfaktoren. Dort sind neun aufgeführt. Nicht immer müssen alle neun erfüllt sein. Es gibt gewisse Basiserfolgsfaktoren, ohne die kommt man nicht aus. Wie diese dann konkret ausgestaltet werden, ist unternehmensspezifisch.

… und was sind die wichtigsten Erfolgsfaktoren?

Die beiden wichtigsten sind meiner Meinung nach Kommunikation und Partizipation. Kommunikation einfach deshalb, damit die Informationen da sind, damit die Gründe für den Wandel verstanden werden. Und, nicht zu vergessen, damit Erfolge des Veränderungsprozesses rechtzeitig ankommen, damit der ganze Prozess seinen ‚Drive‘ behält. Partizipation ist wichtig, damit die Akzeptanz da ist. Wenn ich sehe, dass mir nicht nur etwas vorgesetzt wird, dass der Wandel nicht etwas ist, was mir von außen nur oktroyiert wird, dass ich die Möglichkeit habe, im Rahmen meines Verantwortungsbereiches Dinge mit zu gestalten, dann ist das Committment größer und der Widerstand geringer. Ich würde so weit gehen zu sagen, dass Veränderungsprozesse ohne bewusste Kommunikation, ohne bewusste Partizipation nicht funktionieren. Ob es sinnvoll ist, andere Dinge zu ergänzen, ich nenne mal das Thema „Integration“, hängt von der Situation ab. Wenn ich einen M&A-Prozess betrachte, muss ich darauf achten diese beiden Kulturen zusammen zu führen. In anderen Fälle kann ich auf den Erfolgsfaktor „Integration“ eventuell verzichten.

Insbesondere die Führungskräfte im mittleren Management befinden sich während Veränderungsprozessen in einem Spannungsfeld zwischen den Erwartungen der Unternehmensleitung und denen der Mitarbeiter an der Basis. Welche Rolle spielt die unmittelbare Führungskraft im Change Management?

Führungskräfte spielen eine ganz entscheidende Funktion. Es gibt Untersuchungen die zeigen, dass der Widerstand gegen Veränderungen umso größer wird, je weiter man von der Top-Führungskraft in der Hierarchie nach unten geht. Es gibt einen Punkt wo das ganze kippt, wo man sagen kann, der Prozentsatz derer die Widerstand zeigen ist größer als der Anteil, die den Wandel unterstützen. Und dieser Punkt ist genau im mittleren Management erreicht. Diese mittlere Managementebene ist ja in einer Sandwich-Position: Sie ist Transporteur von Information von oben nach unten, aber natürlich auch umgekehrt. Deswegen ist es ganz wichtig, dass das Top-Management darauf achtet, dass das mittlere Management mit im Boot ist. Das mittlere Management wird ja wahrscheinlich nicht offen gegen die Veränderung opponieren. Diese Führungskräfte werden eher indirekte Formen des Widerstands bevorzugen.

Und was können die Unternehmen nun machen, um diese Führungskräfte ‚abzuholen‘?

Indem es die Informationen schnell zum Middle Management bringt. Es geht darum, diese Manager früh einzubeziehen, direkt mit ihnen zu kommunizieren. Beispielsweise kann man über Workshops für diese Zielgruppe im Unternehmen eine rechtzeitige Partizipation erreichen. Jeder Manager soll frühzeitig einen Eindruck erhalten, wie er in seinem Verantwortungsbereich den Wandel mitgestalten kann. Das stößt natürlich teilweise an seine Grenzen. Wenn wir über börsennotierte Unternehmen sprechen, geht das zum Teil – etwa bei geplanten Übernahmen – allein aus rechtlichen Gründen gar nicht.

Zum Abschluss: Ist die Praxis der Wissenschaft bei diesem Thema einen Schritt voraus? Oder umgekehrt?

Wer liest das? (lacht) Obwohl ich ja der einen Seite angehöre, muss ich sagen: Meist ist die Praxis der Wissenschaft einen Schritt voraus. Das gilt aber für die Betriebswirtschaftslehre im großen Stil, nicht nur im Change Management. Aufgabe der Hochschulen in dieser Disziplin ist es, Vorgänge in der Praxis zu dokumentieren, zu strukturieren, zu analysieren. Allerdings denke ich, dass man große Entwicklungsschritte dort leisten kann, wo Kooperation stattfindet. Die Balanced Scorecard ist da ein gutes Beispiel. Sie ist ja aus einer Kooperation der Harvard Business School mit KPMG entstanden. Es gibt noch viele andere Beispiele. Die Betriebswirtschaftslehre kann alleine am Schreibtisch relativ wenig bewegen. Sie ist eine angewandte Wissenschaft. Wenn man sich in der Wissenschaft ein neues Change-Konzept ausdenkt, muss man es ja auch einmal testen. Und ich denke, dass gerade Beratungsunternehmen geeignet sind, diese Brücke herzustellen. Ich denke, dass die Zusammenarbeit von Forschung und Praxis gerade hier sehr fruchtbar ist.

Über Prof. Dr. Thomas Lauer
Prof. Dr. Thomas Lauer ist seit mehr als zehn Jahren an der Hochschule Aschaffenburg tätig, an der er neben der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre auch Unternehmensführung lehrt. Zudem berät er zahlreiche, namhafte Großunternehmen in den Schwerpunkten Change Mangagement, Innovationsmanagement und Strategisches Management sowie kundenorientierte Unternehmensführung. In seiner Lehr- und Autorentätigkeit verbindet Prof. Dr. Lauer seine langjährige Beratungserfahrung mit aktuellen Entwicklungen aus Theorie und Forschung.

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