Zwischen Fachkräftemangel und Einstellungsstopp – Erleben wir die Trendwende am Arbeitsmarkt? Wie sich Unternehmen vom Faktor „Arbeit“ emanzipieren!

Autor: Michael Knörzer

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Neue Arbeitswelten, Personal & Führung

3 Min. Lesezeit

Im Herbst 2023 sorgte VW mit der Ankündigung eines Einstellungsstopps für Schlagzeilen. Grund: eine operative Umsatzrendite von nur etwas über 3% und eine Korrektur der Gewinnziele für dieses Jahr. Ob dies eine Rückkehr zur „Politik der mittleren Linie“ bedeutet, für die der VW-Konzern bereits in den 1970er Jahren bekannt wurde und die bewusst Personalüber- und -unterdeckungen in Kauf nahm, bleibt abzuwarten. Was sich aber gerade abzeichnet: VW steht mit dieser Vorgehensweise nicht alleine da. So zeigt der aktuelle CEO-Survey von EY – eine regelmäßige weltweite Befragung von ca. 1200 CEOs, davon etwa 100 Vorstandsvorsitzende aus Deutschland -, dass in Deutschland 15% aller Unternehmen einen Einstellungsstopp ins Auge fassen, weltweit sind es sogar fast ein Viertel. Über zwei Drittel der internationalen Unternehmen planen sogar einen Personalabbau, in Deutschland ist es ca. ein Viertel, dass zu dieser drastischen Maßnahme greift. Und dies in Zeiten, in denen allerorten von Fachkräftemangel und einem Arbeitnehmermarkt gesprochen wird. Wie passt das zusammen? „Hier spielen mehrere Faktoren auf der Metaebene eine Rolle“, so Prof. Dr. Michael Knörzer vom APRIORI HR:LAB, „nämlich eine grundsätzliche Inkongruenz zwischen strategischen Vorgaben und operativen Notwendigkeiten, gerade in Fragen des Personalmanagements, und eine notorische Schwäche von Unternehmen in der strategischen Personalplanung“. Dies falle in guten Zeiten nicht so auf, aber wenn situative Einflüsse wie Diskrepanzen am Arbeitsmarkt auf steigende Rohstoffkosten, eine schlechte Konjunktur und damit Einsparzwänge träfe, so Prof. Knörzer, dann komme es zu solchen etwas bizarr wirkenden Konstellationen wie einem Einstellungsstopp oder sogar Stellenabbau in Zeiten des Fachkräftemangels. Verschärft wird die Situation durch grundsätzliche Verunsicherung bei Unternehmen, wie sich die Ressource „Personal“ grundsätzlich entwickelt: Ein sinkendes Arbeitsangebot aufgrund des demographischen Wandels bei immer schlechteren Grundkompetenzen in Mathematik, Naturwissenschaften und Sprachkompetenzen – wie die aktuelle PISA-Studie zeigt – bei zumindest gefühlt immer höheren Ansprüchen der Arbeitnehmer an Gehalt, Urlaub sowie Arbeitszeit- und Arbeitsortgestaltung verbunden mit der Möglichkeit, zumindest Teile des Personals durch Robotik und KI sowohl in der Produktion als auch in der sogenannten Wissensarbeit zu ersetzen, lassen Unternehmen hier zunehmend vorsichtig werden, erläutert Prof. Knörzer und ordnet ein: „Sicher ist es zu früh, hier von einer echten Trendwende auf dem Arbeitsmarkt zu sprechen und sie betrifft sicher auch eher Großunternehmen als den Handwerksbetrieb. Aber interessant und gleichzeitig wenig überraschend sind die Entwicklungen schon. Ich würde es aktuell als eine Emanzipationsbewegung der Unternehmen vom Faktor ‚Personal‘ bezeichnen“. Durch die zuletzt stark gestiegenen Löhne und die zunehmenden Diskrepanzen zwischen den Arbeitszeitwünschen und Remote-Work-Ansprüchen der Mitarbeiter und den betrieblichen Erfordernissen ist das Personal nicht nur teurer, sondern auch „anstrengender“ für die Unternehmen geworden. Vor diesem Hintergrund ist es nur nachvollziehbar, dass Unternehmen im Rahmen der strategischen Personalplanung anfangen darüber nachzudenken, wie viel Personal man denn nun wirklich brauche und vor allem, welche Arbeitnehmer denn langfristig für die Wertschöpfung im Unternehmen wichtig sind. Konsequenz für die strategische Personalplanung: Stammbelegschaften werden wieder kompakter geplant, Randbelegschaften, die schnell abgebaut werden können, werden. „Diese These haben wir schon in früheren Publikationen (https://www.apriori.de/publikationen/adaptive-workforces-flexible-und-rechtssichere-vertragsbeziehungen-fuer-agile-personalstrukturen) vertreten und diese Vorhersage bewahrheitet sich nun allmählich“, so Prof. Knörzer. Dazu passt die Absicht vieler Vorstände im EY CEO-Survey, künftig stärker auf Arbeitnehmerüberlassung und andere atypische Beschäftigungsverhältnisse nutzen zu wollen. Wenn, wie in der EY-Studie belegt, ca. 40% der Unternehmen weltweit und in Deutschland zukünftig Festanstellungen zugunsten alternativer Beschaffungswege von Personal im weiteren Sinne reduzieren wollen, dann ist das nicht nur ein Ergebnis situativer Effekte wie hoher Zinsen und gestiegener Rohstoffkosten, die auf wichtige betriebswirtschaftliche Kennzahlen einwirken. Dahinter steckt die strategische Überlegung, wie leicht Unternehmen künftig durch Personalanpassungen auf Entwicklungen reagieren können und vor allem, welche menschlichen Tätigkeiten sich perspektivisch digitalisieren lassen. „Da haben Unternehmen noch lange nicht das volle Potenzial erkannt, geschweige denn ausgeschöpft, wie sich auch wissenschaftlich nachweisen lässt (https://doi.org/10.1002/mde.3793)“, erläutert Prof. Knörzer,  für die qualitative und quantitative strategische Personalplanung bleibe da noch einiges zu tun. 

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